Gina Chiabudini



Leseprobe
Das Leben steckt voller Überraschungen.
Eine Floskel wie aus einem chinesischen Glückskeks, die in der letzten Zeit das Motto meines Lebens geworden zu sein scheint. Ohne mich zu fragen, versteht sich. Denn ich hätte freundlich »Nein, danke« gesagt und diesen Dingen dann allesamt die Tür vor der Nase zugeknallt.
Ich mag Überraschungen nicht besonders. Ganz egal, ob sie negativ oder positiv sind. Bei Überraschungen weiß man nie, woran man ist. Man hängt in der Schwebe und wartet und hofft und ist vor allem dann enttäuscht, wenn alles anders kommt, als man es insgeheim wollte.
Mit Überraschungen in seinem Leben kann man nicht planen.
Na gut, ich kann nicht gerade behaupten, dass ich danach strebe, mein Leben durchzuplanen. Aber ich sehne mich nach Beständigkeit. Nach einem Muster, in das ich mich eingliedern und einleben kann. Das mir sagt, was als Nächstes geschehen wird und wie es weitergeht. Und wenn ich an jeder Ecke in jedem Moment damit rechnen muss, dass überraschenderweise etwas passiert, das mein Leben wieder vollkommen durcheinander wirft, kann ich das nicht.
Ashton Callahan jetzt vor der Tür stehen zu sehen, ist eine solche Überraschung, die mit einem Knall in mein Leben tritt und das Ausmaß eines Orkans hat.
Als mich Kathryn bat, die Tür zu öffnen, da sie damit beschäftigt war, die Weingläser aus dem Schrank zu angeln, habe ich mir nichts weiter dabei gedacht. Jetzt muss ich in die wohl grünsten Augen blicken, die ich kenne. Und sie weiten sich bei meinem Anblick vor Schreck.
Er starrt zu mir herunter, den Mund halb geöffnet, als wolle er etwas sagen, das dunkle, wirre Haar feucht vom Regen und die Wangen gerötet vom Wind. Ich glaube zu sehen, wie er mit den Lippen meinen Namen formt. Es durchfährt mich wie ein Blitz, als ich diese kleine, stechende Wehmut in mir spüre, die danach verlangt, seine Stimme zu hören. Seine Stimme, die meinen Namen sagt.
Aber diesen Gefallen tut er mir nicht. Er schließt den Mund wieder und schüttelt leicht den Kopf, als wäre ich nichts weiter als eine Einbildung, die verschwinden würde, wenn er nur einmal heftig blinzelt. Aber ich bleibe wo ich bin und schließe die Finger fester um die Klinke der Haustür. Wenn sich meine Beine plötzlich dazu entschließen sollten, sich in Wackelpudding verwandeln zu müssen, dann habe ich immer noch die Sicherheit, nicht gleich vor seinen Augen zu Boden zu sinken.
Als Ashton sich langsam von seinem Schock erholt, kann ich ihm ansehen, dass er nicht erwartet hat, mich hier anzutreffen. Und so richtig übelnehmen kann ich ihm das nicht. Aber gleichzeitig weiß ich dadurch auch, dass er niemals auf die Idee gekommen wäre, mich zu besuchen, jetzt wo er anscheinend zurück ist. Diese Erkenntnis ist wie eine harte, schmerzhafte Ohrfeige.
»Mallory?«, höre ich Kathryn aus dem Wohnzimmer rufen. »Wer ist denn da?«
…